Gescheiterter AfD-Kandidat OtteVerbotene Werbung auf Twitter

Politische Werbung ist auf Twitter nicht erlaubt. Doch der rechte Bundespräsidentschaftskandidat Max Otte verstärkte vor der Wahl die Reichweite eines Tweets offenbar mit Sponsoring. Der Fall zeigt, wie problematisch es ist, dass Wahlwerbung im Netz immer noch weitgehend unreguliert ist.

Ein Mann im schwarzen Anzug und mit schwarzer Brille am Rednerpult, davor der Slogan "Freiheit statt Spaltung", hinter ihm das Logo der AfD
CDU-Mitglied Max Otte bei der Vorstellung als Kandidat der AfD für das Amt des Bundespräsidenten – Alle Rechte vorbehalten imago / Florian Gaertner

Charakter, Werte, Qualifikation. Wenn es nach Max Otte geht, sind diese drei Dinge die wichtigsten Voraussetzungen für das Amt des Bundespräsidenten. Das jedenfalls twitterte das CDU-Mitglied Ende Januar und der Schluss liegt nahe, dass er dabei vor allem an sich dachte. Erst wenige Tage zuvor hatte die Alternative für Deutschland ihn als Kandidaten für das höchste Amt im Staat aufgestellt.

Neben kritischen Kommentaren erntete der ehemalige BWL-Professor erstaunlich viel Zuspruch für den Tweet, mit dem er sich vor der Wahl profilieren wollte. Der mit dem Hashtag #Bundespräsidenten versehene Tweet erhielt fast 15.000 Likes, mehr als zehn Mal so viel wie die meisten anderen Tweets von Ottes Account.

Nach Recherchen von netzpolitik.org gibt es für diese erstaunliche Reichweite eine einfache Erklärung: Otte bezahlte offenbar Twitter dafür, dass der Beitrag mehr Menschen angezeigt wird. „Promoted Ad“ nennt sich das auf der Plattform, der gewünschte Post wird dann bei der gewünschten Zielgruppe in der Timeline platziert, mitten unter normal abonnierten oder kuratierten Tweets, unterscheidbar nur durch einen kleinen Hinweis „Gesponsert“. Das ist eine Art Reichweiten-Booster für normale Tweets – und auf Twitter verboten, wenn es um politische Inhalte geht.

Denn um mögliche Manipulation und Missbrauch zu verhindern, dürfen laut der Werberichtlinie der Plattform seit mehr als zwei Jahren keine politischen Anzeigen mehr geschaltet werden. Dazu zählen explizit auch solche von Kandidat:innen für politische Ämter und generell Werbung mit Bezug zu Wahlen.

Der Regelverstoß – ob bewusst oder unbewusst – könnte Otte seinen Account mit 65.000 Followern kosten, ist aber auch für Twitter äußerst unangenehm. Das Unternehmen rühmt sich gerne seiner konsequenten Linie im Streit um politische Werbung im Netz. Expert:innen der digitalen Zivilgesellschaft fordern angesichts des Vorfalls endlich verbindliche Regeln und sehen ihn als Beleg dafür, dass entsprechende Pläne der Europäischen Union nicht weit genug gehen.

Untergangsprophet, CDU-Mitglied und Freund der AfD

Als AfD-Chef Tino Chrupalla den Kandidaten Otte am 25. Januar aus dem Hut zauberte, gelang ihm ein echter Überraschungscoup. Er hatte sich nicht nur gegen seinen damaligen Co-Vorsitzenden Jörg Meuthen durchgesetzt, sondern auch die CDU zum Schäumen gebracht, die umgehend ein Parteiausschlussverfahren gegen ihr langjähriges Mitglied einleitete. Die Medien berichteten rauf und runter, zum Leidwesen der beiden irgendwann auch über Ottes Spenden an Chrupallas Kreisverband.

Bis zu seiner Kandidatur war der Publizist, Fondsmanager und ehemalige BWL-Professor einer breiteren Öffentlichkeit vor allem als Autor von finanzpolitischen Büchern bekannt. Mit untergangsprophetischen Titeln wie „Der Crash kommt“ oder „Weltsystem Crash“ war er immer wieder in den deutschen Sachbuch-Charts vertreten.


Tweet des Accounts von Max Otte. Inhalt: "Für das amt des #Bundespräsidenten sollten ausschließlich drei Dinge maßgeblich sein: Charakter, Werte und Qualifikation. Und zwar in dieser Reihenfolge."
Der Tweet vom 31. Januar 2022, den Max Otte bewerben ließ - Screenshot: privat

Politische Beobachter:innen aber analysieren schon seit längerem, dass Otte eine Scharnierfunktion zwischen bürgerlich-konservativen Kreisen und der extremen Rechten einnimmt. Von Juni 2018 bis Januar 2021 war Otte Vorsitzender des Kuratoriums der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. Seit Mitte 2021 war er Vorsitzender der rechtsaußen CDU-Splittergruppe Werteunion. Dieses Amt lässt er seit der Kandidatur ruhen.

Auf seinem Twitter-Account @maxotte_says arbeitete der CDU-Mann sich lange Zeit am Thema Migrationspolitik, am von ihm kritisierten Islam und an seiner eigenen Partei ab, die er vom rechten Weg abgekommen sah. Seit Beginn der Covid-19-Pandemie findet sich hier vor allem Kritik an Schutzmaßnahmen vor Corona. Gelegentlich auch Fotos von Wanderungen und Werbung für die von ihm gemanagten Fonds oder seine Bücher.

Ob Otte noch weitere Tweets mit politischen Inhalten gesponsert hat, lässt sich von außen nicht sagen. Anders als Facebook oder YouTube pflegt Twitter kein Archiv mit politischen Anzeigen – diese sind ja eigentlich verboten. Missbrauchsanfällig ist das auch deshalb, weil die Plattform es Werbetreibenden ermöglicht, gesponserte Tweets nur der ausgewählten Zielgruppe anzuzeigen. Sie sind nicht auf dem Profil des Absenders einsehbar, sondern nur über die Suchfunktion der Plattform auffindbar.

Transparenz könnten deshalb nur das Unternehmen oder Max Otte selbst schaffen. Doch der gescheiterte AfD-Kandidat sagte unsere Presseanfrage „aufgrund vieler Termine“ ab. Ob ihm überhaupt bewusst war, dass politische Werbung auf Twitter verboten ist, bleibt unklar. Auch Twitter will sich zu dem Vorfall offenbar lieber nicht äußern. Seit einer Eingangsbestätigung unserer Presseanfrage vor drei Tagen stellt sich die Kommunikationsabteilung tot, trotz mehrfachem Nachhaken stumm.

Immer wieder Ärger mit politischer Online-Werbung

„Das Beispiel zeigt, warum wir unbedingt Regulierung von politischer Online-Werbung brauchen“, sagt dazu Frederike Kaltheuner, die Direktorin der Tech-Abteilung bei Human Rights Watch. „Wir können uns nicht einfach darauf verlassen, dass Plattformen ihre Regeln durchsetzen – oder sie nicht auch von heute auf morgen ändern.“

Seit Jahren ringen Politik und Plattformen darum, wie mit politischen Anzeigen und insbesondere mit Wahlwerbung im Netz umzugehen ist. Der Cambridge-Analytica-Skandal warf 2018 ein Schlaglicht auf fragwürdige Praktiken in der Branche der politischen Online-Kommunikation – und auf die problematische Rolle, die Social-Media-Unternehmen dabei spielen.

Seitdem kommen immer wieder undemokratische, schräge oder illegale Einsätze der digitalen Werbemöglichkeiten ans Licht. Etwa, dass religiöse Gruppen aus den USA mit zielgerichteter Facebook-Werbung bei unentschlossen Wähler:innen Einfluss auf ein Abtreibungsreferendum in Irland nehmen wollten. Oder dass die Parteizentrale der britischen Labour-Partei den damaligen Vorsitzenden Jeremy Corbyn mit einer Microtargeting-Kampagne hinters Licht führte. Oder dass das Wahlteam von Donald Trump 2016 gezielt Schwarze US-Bürger:innen mit Facebook-Anzeigen vom Wählen abhalten wollte.

In Deutschland sorgte jüngst eine Recherche des ZDF Magazin Royale für Aufsehen, die zeigte, dass zwei Ministerien im Bundestagswahlkampf politische Werbung gezielt an Fans der Partei ausspielten, denen ihre Hausleitung angehört. Sowohl Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, SPD, als auch die damalige rheinland-pfälzische Umweltministerin machten Dienstleister für die möglicherweise verfassungswidrige Werbung verantwortlich und entschuldigten sich für die Vorfälle. Wir konnten allerdings zeigen, dass die zielgerichtete Werbung an SPD-Fans im Arbeitsministerium jahrelang praktiziert wurde.

Weitgehend unreguliert

Ob Ottes gesponserter Tweet mit den vielen Likes ihm zwei Wochen später tatsächlich geholfen hat, darf bezweifelt werden. Der Bundespräsident wird in Deutschland nicht direkt, sondern von der Wahlversammlung gewählt. Otte erhielt nach dem von SPD, CDU, Grünen und FDP unterstützen Frank-Walter Steinmeier zwar die zweitmeisten Stimmen, bekam jedoch nicht mal von allen Wahlleuten der AfD die Zustimmung.

Für die Frage, ob die Anzeige regelkonform war, ist der Erfolg jedoch unerheblich. Twitter verbietet unmissverständlich jegliche Werbung zu „Inhalten, die sich auf Kandidaten, politische Parteien, gewählte oder ernannte Regierungsbeamte, Wahlen“ beziehen. Auch Werbung für Inhalte, die sich auf Referenden, Abstimmungen, Gesetze, Verordnungen, Richtlinien oder gerichtliche Entscheidungen beziehen, sind verboten.

Dass Twitter in dieser Frage eigentlich so rigoros ist, war eine eigene Entscheidung des Unternehmens. Anders als politische Werbung im Fernsehen oder auf Plakaten im öffentlichen Raum, gibt es für politische Anzeigen im Netz bislang kaum gesetzliche Rahmenbedingungen. Die Regulierung politischer Kommunikation ist in Demokratien kein leichtes Unterfangen, selbst wenn es nur explizit um bezahlte Werbung geht. Die Freiheit der Kommunikation ist schließlich ein hohes Gut.

Trotz aller Skandale machten lange Zeit weder politische Akteur:innen noch Plattformen ernsthafte Schritte, um das Missbrauchspotenzial zu begrenzen. Von Parteien gab es im Maximalfall vage und unverbindliche Selbstverpflichtungen. Facebook und Google sperrten sich gegen eine Einschränkung ihres Geschäftsmodells.

Erst auf Druck der EU-Kommission richteten die beiden größten Player der Online-Werbung und auch Twitter 2018 Archive für politische Anzeigen ein. Doch von Anfang an gab es Kritik, dass die freiwillige Transparenz nicht weit genug gehe. Die Targeting-Kriterien etwa, nach denen Werbetreibende ihre Zielgruppe zusammenstellen, bleiben bislang geheim.

Abhängig vom Gutdünken der Plattform

Vor dem US-Präsidentschaftswahlkampf überraschte Twitter Ende 2019 dann mit der Ankündigung, politische Werbung grundsätzlich verbieten zu wollen, weil das Manipulationspotenzial durch Microtargeting nicht zu kontrollieren sei. Während Google und Facebook in der Folge zähneknirschend temporäre Einschränkungen für politisches Targeting während des Wahlkampfes einführten, verkündete Twitter-CEO Jack Dorsey: „Wir glauben, dass Reichweite für politische Botschaften verdient sein sollte, nicht gekauft.“

Der gesponserte Post von Bundespräsidentenkandidat Max Otte aber ist der Plattform wohl durchgerutscht. Welche Konsequenzen der Regelverstoß für den Account bedeutet, ist unklar. Twitter hat keine öffentlich einsehbaren Kriterien zur Ahndung derartiger Vorfälle und es ist der erste prominente Fall dieser Art, der publik wird. Bei anderen Regelverstößen reagiert Twitter aber schon mal mit der einem zeitlich befristeten oder permanenten Bann, je nach Schwere und Häufigkeit des Vergehens.

Dass eine derartige Entscheidung allein vom Gutdünken eines Plattformunternehmens abhängt, ist auch der EU-Kommission ein Dorn im Auge. Ende 2021 hat sie deshalb eine Verordnung vorgeschlagen, die erstmalig explizite Regeln für politische Online-Werbung schaffen soll.

In dem Entwurf heißt es, jede politische Werbung müsse klar als solche gekennzeichnet sein und die Identität des Werbenden angeben. Auch soll angegeben werden, wie viel Geld der Werbedienstleister für die „Vorbereitung, Platzierung, Bewerbung, Veröffentlichung und Verbreitung der betreffenden Werbung“ erhalten hat. Politische Anzeigen inklusive aller Transparenzhinweise müssen vom Anbietenden veröffentlicht werden, große Plattformen wie Facebook und YouTube müssen dafür – nun gesetzlich verpflichtend – ein Anzeigenarchiv betreiben.

„Ein Mann scheitert siebenmal“

Der Fall Otte aber zeigt, dass der Ansatz der EU-Kommission zu kurz greift, kritisiert Julian Jaursch von der Stiftung Neue Verantwortung gegenüber netzpolitik.org. „Bei Twitter gibt es klare Regeln und Verbote zu politischer Werbung, aber es scheint selbst bei einem so öffentlichen und prominenten Thema an der Durchsetzung zu mangeln.“ Für Jaursch ist deshalb klar, dass die Europäische Union „eine starke und konsistente EU-weite öffentliche Aufsicht von Plattformen und Werbetreibenden aufbauen muss, die systematisches Versagen ahnden kann.“

Frederike Kaltheuner von Human Rights Watch spricht sich zudem für verbindliche Transparenzvorgaben aus: „Es muss für Aufsichtsbehörden, Wissenschaftler und Mitglieder der Zivilgesellschaft möglich sein, nachzuvollziehen, wie Werbung geschaltet wurde und ob möglicherweise Regeln gebrochen wurden.“ Auch Julian Jaursch kritisiert, „dass in der heutigen Situation manche Leute die Anzeige sehen und manche nicht.“ Das sei ein großes Problem, weil mögliche Ungereimtheiten nur zufällig entdeckt werden können.

Es muss deshalb „verpflichtende, gut funktionierende, detaillierte Datenbanken geben, die politische Werbung öffentlich sammeln und einsehbar machen“, fordert Jaursch. Die Pläne der Kommission würden hier nicht weit genug gehen, denn anders als von ihr vorgeschlagen müssten die Archive in Echtzeit und plattformübergreifend funktionieren, damit die Kontrolle wirklich funktioniert.

Ebenfalls zu klären wäre für die EU, wie Verstöße gegen die Vorgaben geahndet werden. Max Otte jedenfalls twittert erstmal munter weiter. Zuletzt unter anderem ein „Mongolisches Sprichwort“: „Ein Mann scheitert siebenmal und steht achtmal wieder auf.“


Vielen Dank an den wachsamen Twitter-User Johannes Domnick für den Hinweis auf den gesponserten Tweet.

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